Zurück zu allen Events

SUB UMBRA ALARUM TUARUM

  • Dom St. Pölten St. Pölten Österreich (Karte)

Unter dem Schatten deiner Flügel - Kaiser Leopold I. gewidmete Toccaten und Sonaten von Georg Muffat und Carlo Ambrogio Lonati


Eva Saladin Violine
Christoph Anzböck Orgel


Wenn Georg Muffat seinen Apparatus musico-organisticus, eine repräsentative Sammlung von zwölf Toccaten und drei Variationswerken, in der beredten Widmungsrede unter den schützenden Schatten der Schwingen des kaiserlichen Adlers stellt, so ist dieses Bild nicht von ungefähr gewählt. Leopold, dem eigentlich für eine geistliche Laufbahn bestimmten Musen-Kaiser, war dieses Psalmwort gewiss wohl bekannt. Ihm widmete Georg Muffat im Jahr 1690 anlässlich der Krönung seiner dritten Gemahlin Eleonore von der Pfalz-Neuburg zur Kaiserin und seines Sohnes Joseph zum Römischen König dieses Opus magnum, einen der absoluten Höhepunkte der Musik für Tasteninstrumente im ausgehenden 17. Jahrhundert. Fernab von unmittelbarer liturgischer Zweckgebundenheit, stellt der Druck des Apparatus ein ästhetisches Gesamtkunstwerk ersten Ranges dar, «zur besonderen Ergötzung der Musikliebenden und zur reichlichen Übung in dieser Kunst.» Vor allem war es Muffat daran gelegen, seinen Komponierstil, erlangt «aus dem steten Umgang und der Gemeinschaft mit den vornehmsten Organisten Deutschlands, Italiens und Frankreichs» und «eine ziemlich veränderte Art der Kunst», einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren.

 

Und wirklich ist dieser Apparatus, worunter man wohl so viel wie «Rüstzeug» zu verstehen hat, ein regelrechtes Compendium satztechnischer Formen und kontrapunktischer Phänomene. Toccatisches Laufwerk verbindet sich mit regulären Fugen, kunstvolle Kanonbildungen stehen neben von Dissonanzen geprägten Abschnitten im Stil eines französischen Plein Jeu oder einer italienischen Toccata di Durezze e Ligature. Rezitativische Abschnitte, Triosonatensätze und Anklänge an französische Ouvertüren zeigen kaleidoskopartig die Vielfalt der Inspirationsquellen. Durch die Synthese der verschiedenen europäischen Regionalstile gelangte der weitgereiste Muffat zu einem «vermischten Stil» mit sehr persönlicher Prägung. Wenngleich Kaiser Leopold den Apparatus «allergnädigst gehört und mit reichester Gnaden-Schanckung angenommen» hat, so blieb die mit der Widmung verbundene Hoffnung auf eine Aufnahme in die kaiserliche Hofkapelle für Georg Muffat dennoch unerfüllt. Erst seinen drei Söhnen Franz Georg Gottfried, Johann Ernst und Gottlieb wurde diese Ehre zuteil.

 

Ob hinter Carlo Ambrogio Lonatis Widmung seiner zwölf Violinsonaten im Jahr 1701 an Leopold als den «primo Monarca di questa terra» ähnliche Überlegungen standen, ist unklar. Vielleicht war es der grosse Erfolg des ein Jahr zuvor erschienenen Drucks der Violinsonaten Corellis, der ihn zur Zusammenstellung dieser Sonatensammlung veranlasste. Von Francesco Maria Veracini wurde Lonati später als grösster Geiger seiner Zeit bezeichnet, doch trat er ebenso als Sänger und Komponist von Kantaten, Opern, Oratorien und geistlicher Musik in Erscheinung. Wenngleich er den berühmtesten Komponisten zum Vorbild diente, ist nur eine überschaubare Anzahl seiner Kompositionen überliefert. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass der gefeierte Virtuose sich stur weigerte, seine Werke zu veröffentlichen. Nicht selten scheinen Kopien seiner Werke unter fremdem Namen verbreitet worden zu sein. Von Lonati selbst ist dazu lediglich die Aussage überliefert, er wolle nicht, dass seine Musik unter die Augen von Leuten gerate, die nicht einmal die Uhr lesen können.

 

Folgerichtig scheint demnach die Widmung seiner Sonatensammlung an Kaiser Leopold I., als den in Fragen der Musik kundigsten Herrscher seiner Zeit. Es handelt sich dabei gleichermaßen um Zusammenfassung und Höhepunkt seines Schaffens auf dem Gebiet der solistischen Violinmusik. Während Corellis Kompositionen, stilistisch geglättet und durchdrungen von den Prinzipien der Ratio und Klarheit, den Nerv ihrer Zeit trafen und als Ausdruck der klassizistischen Strömung im Barock große zukunftsweisende Wirkung entfalteten, müssen Lonatis Sonaten eher als Summe und Höhepunkt der Violinmusik des zurückliegenden Jahrhunderts verstanden werden.

 

Ähnlich wie in Muffats Apparatus scheinen auch hier alle musikalischen Formen des Instrumentalrepertoires der Epoche auf: von der freien, launischen Toccata, der kontrapunktischen Canzona und dem arienähnlichen langsamen Satz, die im “da chiesa”-Stil den ersten Teil bilden, bis hin zu den klassischen Tanzsätzen wie Allemande, Gigue und Menuet der Sonaten “da camera” des zweiten Teils. Eine monumentale Ciaccona, eine Variationsreihe über ein Bassmodell, beschließt die Sammlung. Lonati bedient sich außerdem - untypisch für einen Italiener - der Skordatur, einer abweichenden Stimmung des Instruments, was unübliche Doppelgriffe und weitergehende virtuose Spielereien ermöglicht. Dieses für die süddeutsch-österreichische Geigenschule so bestimmende Element kann wohl als zusätzliche Reverenz an Kaiser Leopold verstanden werden.

Frühere Events: 4. Mai
SUB UMBRA ALARUM TUARUM
Späteres Event: 19. Mai
MISSA SANCTI FRANCISCI